Norbert Elias und John L. Scotson, Etablierte und Außenseiter
Buchbesprechung
„Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckung“ (Hermann Heimpel) und liefert in unserer Gegenwart Perspektiven und vielleicht sogar Erklärung für Strömungen bei uns und weltweit. Denn “Etablierte und Außenseiter“ ist bereits 1965 erstmalig in englischer Sprache erschienen. Es handelt sich um die Auswertung einer Studie, die die beiden Autoren zwischen 1958 und 1960 in einer englischen Vorortgemeinde durchgeführt haben. Die Gemeinde bestand aus drei Wohnbezirken, von denen vor allem einer sozial von den anderen isoliert war.
Anlass der Studie ist, kurzgefasst, die Frage, warum im isolierten Gemeindeteil eine hohe Kriminalitätsrate zu beobachten ist. Bereits früh zeichnet sich ab, dass rein statistische Werte keine Erklärung bieten. Auf Zahlenbasis unterscheiden sich die Wohnbereiche nicht signifikant. Aber: Es gibt festgefügte Meinungen der Bezirke eins und zwei über die Menschen aus Bezirk drei. Umgekehrt nimmt die Bezirk-drei-Bevölkerung sich selbst im Vergleich zu den anderen Bezirken als minderwertig wahr. Auch dafür lassen sich keine Erklärungen in Bezug auf Arbeitslosenquote, Einkommenshöhe oder berufliche Qualifikation finden, die statistische Relevanz hätten.
Die Beschreibung von Ausgrenzung in Verbindung mit Aufwertung des eigenen Status anhand zufälliger bis fragwürdiger „Fakten“, von Abwertung des eigenen Status aufgrund dieser Ausgrenzung mit der Folge fast selbst erfüllender Prophezeiungen schnürt beim Lesen die Kehle zu. Die Unerbittlichkeit und Ausweglosigkeit sozialer Abgrenzung macht starr. Warum haben sich die Menschen aus Bezirk drei nicht zusammengetan und sich gewehrt? Weil sie als Gruppe nicht homogen genug waren, um eine stärkende Basis aus sich selbst heraus finden zu können.
Mir fallen zwei Sätze ein, die Hoffnungssamen beiinhalten. Der eine ist aus dem Film „Wunderschöner“ und bezieht sich eigentlich auf das Mann-Frau-Verhältnis: Wie weit könnten wir kommen, wenn wir uns nicht gegenseitig die Kraft rauben würden. (sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert) Der zweite ist von Margot Friedländer: Seid Menschen – Be human. Und dann hören wir alle noch einmal genau hin, wie wir alle über andere Menschen sprechen. Wir üben uns im Erkennen von Abwertung des Menschseins. Wir decken diese Abwertung ab heute in Gesprächen freundlich-bestimmt auf und werden immer besser dabei, sie selbst zu unterlassen. Wir sprechen an, wenn Menschen durch Machtgefüge zu Ohnmacht verurteilt werden. Und wir halten an der Hoffnung fest, das wir alle täglich Mit-Menschlichkeit befördern können. Wie weit können wir kommen!
Ihre Gudula Buzmann
Norbert Elias und John L. Scotson
Etablierte und Außenseiter
Broschur
Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-38382-7
