Katja Diehl, Autokorrektur

Buchbesprechung

Wie umfangreich der Ausschluss von Teilhabe am öffentlichen Leben durch Mobilitätsbarrieren, wie beeinträchtigend die Fokussierung auf die Automobilität für bestimmte Personengruppen ist, war mir vor der Lektüre von „Autokorrektur“ nicht im Entferntesten bewusst. Katja Diehl beschreibt in den übergeordneten Bereichen Mobilität, Raum und Mensch, welche strukturellen Entwicklungen zur Priorisierung des Automobilverkehrs geführt haben und was diese Priorisierung für bestimmte Personengruppen bedeutet – und sie kann das Thema aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit in der Mobilitäts- und Logistikbranche beurteilen.

Zu Fuß ist gefährlich

Heute werden unter fünf Prozent der Wege zu Fuß zurückgelegt. Arbeit, Wohnen und Freizeitangebote sind vielfach so weit voneinander entfernt, dass man mindestens einmal am Tag fahren muss. Zu Fuß gehen wird immer gefährlicher, je mehr Autos unterwegs sind. Ein Mediziner erzählte mir kürzlich, dass Operationen auch deswegen rund um die Uhr nötig und oft unplanbar sind, weil die Fahrenden bei Verkehrsunfällen nicht mehr durch Windschutzscheiben fliegen und dadurch sterben. Katja Diehl hingegen berichtet, „[b]ei Kollisionen mit SUVs bei Geschwindigkeiten von 40 Meilen pro Stunde oder mehr starben 100 Prozent der Fußgänger:innen, bei Kollisionen mit normalen Autos waren es 54 Prozent.“ Wer sicher gehen will, fährt Auto.

Das Auto als geschützter Raum

Weiblich gelesene Personen und Frauen sind im Auto sicherer als in öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei längeren Fußwegen. People of Color, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, fremdartig aussehende Personen, Aktivist:innen und Politiker:innen machen ähnliche Erfahrungen. Hier sind es nicht die Unfälle, sondern es ist eine Mischung aus gesellschaftlicher Stimmung und mangelndem Schutz in öffentlichen Räumen, die das Auto attraktiv machen.

Für Kinder oder Menschen im Rollstuhl ist der öffentliche Raum doppelt gefährlich. Sie werden leichter übersehen, haben selbst aufgrund ihrer eigenen Augenhöhe weniger Überblick über die Verkehrslage und sind gleichzeitig viel mehr Schadstoffen ausgesetzt, weil die Nase näher an den Auspuffrohren und am Reifenabrieb atmet.

Regionale Benachteiligung und Altersdiskriminierung

Wer wirklich auf das Auto verzichten oder zur E-Mobilität wechseln wollte, hat es auf dem Land schwer. Der Busfahrplan orientiert sich an den Schulzeiten, Anschlüsse sind nicht oder nicht sicher erreichbar, Radwege sind eher Wirtschaftswege oder gar nicht vorhanden und die nächste Praxis für Allgemeinmedizin gibt es erst in der übernächsten Stadt. Wer altersbedingt nicht mehr fahren kann oder will, gleichzeitig aber regelmäßig zur Hausärztin muss, steht vor einem Dilemma.

Bei Jungen und Alten geht der Verzicht auf das Auto mit erheblichem Zeiteinsatz einher. Man wartet auf den Bus, den Anschluss, nach dem Arzttermin auf den nächsten Bus, vor dem Musikunterricht mit dem Kind, weil der Bus nicht passend fährt. Verabredungen zum Spielen? Klassenkameradinnen und -kameraden wohnen zu weit weg und/oder man kann das Kind noch nicht allein mit dem Rad losschicken. Abends ins Theater? Die Liste lässt sich fortsetzen.

Ausschluss als Regelfall?

Kinder und alte Menschen, Menschen mit Einschränkungen, mit bestimmten äußeren Merkmalen, mit wenig Einkommen – alle werden tendenziell an den Rand gedrängt. Andere sind aus Mangel an Alternativen auf das Auto angewiesen, wenn sie Schichtarbeit leisten, zeitlich eng getaktet Familie und Beruf unter einen Hut bringen müssen oder Angehörige betreuen. Eigentlich sollte das Buch Pflichtlektüre in jeder Stadtverwaltung und jedem Dorf sein. Uns allen hilft es, empathischer auf die Gruppen zu schauen, zu denen man nicht selbst gehört.

Ihre Gudula Buzmann

 

Katja Diehl Autokorrektur.
Mobilität für eine lebenswerte Welt
Broschur
S. Fischer Verlag
ISBN 978-3-10-397142-2

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